Andacht zur Jahreslosung 2012: „Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ 2. Kor.brief 12,9
Liebe Gemeindeglieder und Freunde unserer Gemeinde!

Wer ist schon gerne schwach? Wer gibt schon gerne zu, dass die eigenen Kräfte nicht oder nicht mehr reichen? Bestimmt nicht das Gesetz des Stärkeren weithin unsere Welt? Was empfinden Sie, wenn sie die Worte des Paulus hören: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig?“ Wie kann Kraft in den Schwachen mächtig sein? Kraft und Macht bringen wir doch zunächst mit Stärke in Verbindung. Wir denken an Machthaber, die mit zumeist militärischer Stärke ihre Vorhaben, ihre Ideologien durchsetzen, immer wieder leider auch mit Gewalt. Wir denken vielleicht auch an Siegertypen: an Sportler, an Wirtschaftsbosse, an Politiker, die durch ihr Auftreten und ihre Erfolge etwas darstellen. Das Streben nach Erfolg und Anerkennung wird in unserer Gesellschaft belohnt. Gewinnertypen sind gefragt.
Die vielen Casting –und Quiz-Shows wie z. B. das Top-Model, the Voice of Germany, das Supertalent, wer wird Millionär - zeigen, wer Top-Leistungen bringt, kann es nach oben an die Spitze schaffen. Wir leben in einer Welt, die nur das Perfekte gelten lässt, und wenig Raum bietet, eine Schwäche, einen Fehler einzugestehen. Viele versuchen, vor den Augen dieser Welt die eigenen Mängel zu vertuschen.
Minderwertigkeitsgefühle können dann entstehen, wenn man sich am Bild des perfekten Menschen misst. Der Apostel Paulus hat uns vorgelebt, dass der Glaube an Jesus Christus eine verwandelnde Kraft hat. Nach dem Erlebnis vor Damaskus hatte der Apostel Paulus erkannt, dass er Perfektion, Macht, Stärke ablegen muss. Paulus war ein Apostel, der mit vielen Schwächen behaftet war. Er hat sehr viele gesundheitliche Probleme gehabt, die ihn oft sehr eingeschränkt hatten. Dazu kam noch, dass er vermutlich häufiger sehr niedergeschlagen war und vermutlich depressive Züge hatte. Auch war er wohl kein begnadeter Redner, keiner, der Massen mitreißen konnte. Dennoch fand er Gehör und konnte Menschen den christlichen Glauben nahe bringen. In der Hafenstadt Korinth gründete er eine christliche Gemeinde, in der sich wenig gebildete, einflussreiche und vornehme nicht die Bilanz der guten und schlechten Taten zählt, sondern nur der Glaube daran, dass Gott in seiner unergründlichen Gnade es ist, der uns rechtfertigt um Jesu Christi willen. Ich denke, es ist eine der Kernaufgaben der Kirchen, diese Botschaft in unsere Welt zu bringen. Denn viele erleben diese Welt als eine Welt, in der Liebe und Hoffnung fehlen, in der die Angst vor dem Tode herrscht, und der Mensch nicht mehr vor einer letzten Gnade steht. Ich denke Heinrich Böll hat recht, indem er schreibt: „Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und noch mehr als Raum gab es für sie: die Liebe.“
Angewiesen auf Liebe und Gnade sind alle Menschen dieser Erde. Wie wichtig es ist, dass der Große auf den Kleinen achtet, dass der Starke dem Schwachen hilft, möchte ich Ihnen an folgender Fabel deutlich machen:
Ein Löwe schlief im Schatten eines Baumes, als ihm eine kleine Maus über die Pranken lief. Erschrocken wachte der Löwe auf und wollte die Maus gerade verschlingen, als sie ängstlich zum Löwen sagte: „Was hast du schon von einem so winzigen Tier für einen Genuss? Lass mich laufen, und du gewinnst in mir einen Freund für das ganze Leben!“ Der Löwe lachte und sagte schließlich: „Dann lauf nur, kleiner Freund! Wenn ich dich brauche, werde ich dich rufen“. Eines Tages verfing sich der Löwe in einem Fangnetz. Je mehr er sich zu befreien suchte, desto enger zog sich das Netz um ihn zusammen. Da brüllte der Löwe laut in seiner Not. Sogleich kam die kleine Maus, zernagte Masche um Masche des Netzes und befreite ihren großen Freund.“
Diese Geschichte macht uns deutlich, dass Liebe sich darin erweist, dass keiner sich zu schade ist, dem anderen zu helfen und selber Hilfe anzunehmen. Wenn wir zu Freunden Gottes werden, können wir mit seiner Hilfe rechnen und ihm helfen, dass seine Menschenfreundlichkeit von allen Menschen erkannt und erfahren wird.
Ich grüße Sie alle herzlichst mit allen guten Wünschen für 2012, vor allem Gesundheit, Freude am Leben und Gottes Segen!!

Herzlichst
Norbert Müller

„Das ist das Geheimnis der Gnade:
Es ist niemals zu spät.“

Francois Mauriac