Andacht über die Jahreslosung 2002: ”Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen” (Jesaja 12,2).
Liebe Gemeindeglieder und Freunde unserer Gemeinde!

Das Wort der Jahreslosung stammt aus dem Danklied der Geretteten beim Propheten Jesaja (8.Jh. v. Chr.), und es bringt die Erfahrungen vieler Generationen mit dem Gott Israels zum Ausdruck. Es ist ein Lied über Gottes Hilfe für sein Volk, das zu jener Zeit durch das assyrische Großreich bedroht war. Worauf sollte man sich noch verlassen, wenn zu zerbrechen schien, was früher Halt gab? Die Menschen zur Zeit Jesajas hatten wenig Anlass zu Optimismus: Welche Erfahrungen hatten denn sie gemacht? Vom Volk, das im Finstern wandelt, spricht der Prophet und klagt an, dass viele Israeliten die Taten Gottes (wie die Befreiung aus Ägypten) vergessen haben. Religion, Heimat, Traditionen, Werte, Nächstenliebe, die Ehrfurcht vor Gott haben nicht mehr den Stellenwert wie früher, die Altäre werden zerstört, die eigene Identität geht verloren. Wovon hätte man da noch singen sollen? Sieht unsere Welt so wesentlich anders aus? -
In diese Situation hinein erklingt die Vision (Jesaja 9,1-6) von dem großen Licht, das aufgeht über die, die da wohnen im finsteren Lande: Ein Kind ist uns geboren, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter. Gott rettet durch ein Kind. Gottes Rettungsaktion beginnt so unscheinbar, wie das Leben eines Kindes ist. Da wo ein Baby die Eltern und Großeltern anstrahlt, wo Menschen Liebe erfahren, wo einem Hungernden geholfen wird, da ist Gott gegenwärtig. Wer Gottes Nähe erfährt, stimmt in das "Danklied der Geretteten" ein: "Gott ist mein Heil, die Freude meines Lebens. Der Prophet singt dieses Danklied:´“ Gott rettet“. Hinter diesem alten Danklied steht das Wissen, dass Heil, Hilfe und Befreiung in der je und je erfahrenen Nähe Gottes liegen. Können wir in dieses Danklied mit einstimmen? Wo haben wir in unserem Leben das Handeln Gottes gespürt? Gab es Zeiten, Ereignisse, Momente in Kindheit und Jugend, unter Krieg und Flucht, in unseren bestehenden oder verlorenen Beziehungen der Liebe, innerhalb der beruflichen Erfüllungen und Versagungen, in Krankheit und Not, wo Gott nicht über uns Flügel und seine schützende Hand gebreitet hat? Hat sich nicht oft erst später herausgestellt, wie Gott sich um uns gesorgt hat und weiterhin sorgt? Wo wir lernen, Gott zu danken für das Leben, das er uns geschenkt hat, da tun wir es im Namen Jesu. Das hebräische Wort für Rettung erinnert an Josua, und es taucht im Namen „Jesus“ wieder auf. Er ist der Retter, seine Liebe die Ankerkette, von der uns nichts trennen kann. Der hebräische Name „Jesus“ bedeutet auf deutsch: „Gott rettet“ und macht deutlich, dass es Gottes Wille ist, dass „allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen“ (1. Timotheusbrief 2,4). Gottes Hilfe wird da erfahrbar, wo Menschen, die zwischen Angst und Vertrauen hin und herschwanken, sich für das Vertrauen auf Gott entscheiden. In der folgenden Erzählung wird deutlich, was eine Vertrauensentscheidung ist: „Auf einer alten, halb verfallenen Mauer krabbeln zwei Jungs. Vier und fünf Jahre als sind sie. Die Eltern haben es verboten. Aber das macht es ja reizvoll. Sie klettern, spucken in die Tiefe, werfen Steine in den Hinterhof - sie tun eben alles, was Jungs in so einem Fall tun. Sie sind gleich tapfer und gleich mutig. Sie sind sich überhaupt sehr ähnlich. Könnten Zwillinge sein. Und manche Nachbarn reden immer nur von "den beiden", selten von einem alleine. Es passiert, als sie wieder auf der Mauer sind, da bricht ein Teil der Mauer zusammen. Sie können weder vor noch zurück. Etwas kleinlaut sind sie. Immer ängstlicher. ein Mann kommt, will ihnen helfen und ruft: "Springt, ich fange euch auf!" Seltsam. Die beiden so ähnlichen Jungs verhalten sich ganz verschieden. der eine springt sofort, der andere versucht es erst gar nicht. Er kauert sich weinend oben zusammen und wartet auf die Feuerwehr. Frage: Warum hat der eine Junge den Mut zum Sprung, der andere nicht? Die Antwort ist eigentlich einfach: Der eine Junge springt, weil der Mann unten sein Vater ist. Der andere Junge springt nicht, weil es eben nicht sein Vater ist“
Wie ein Vater wartet Gott darauf, dass wir zu ihm Vertrauen fassen. An Gott glauben" oder "auf Gott vertrauen" ist eine wichtige Entscheidung, die ich mit einem Bild umschreiben möchte. Das Bild von einem Anker verdeutlicht den Glauben eines Menschen, der sein Lebensschiff in Gott festmachen möchte. Der Glaube an Gott ist wie „den Anker" auswerfen, um in den Stürmen des Lebens „Halt, Kraft und Trost“ zu finden. Wir leben von der Zusage, dass Gott uns schenken will, was wir brauchen: Glauben und Gottvertrauen. Er schenkt uns den Heiligen Geist, diese unsichtbare Verbindung zwischen Ihm und uns, so dass auch wir bereit und fähig werden, zu erfahren und zu bekennen: "Ja, Gott ist meine Rettung; ihm will ich vertrauen und niemals verzagen." Dieser Satz hat seit Jesus eine ganz neue Dimension bekommen. Das Leben aus dem Vertrauen an den einen Retter, der es immer und unter allen Unständen gut mit uns meint , führt zur Bejahung des Lebens, zur Bejahung der eigenen Person mit allen guten und schlechten Seiten, zur Bejahung der Mitmenschen, zur Bejahung der Schöpfung und zur Bejahung Gottes. Es gibt aber auch viele Erfahrungen in der Geschichte der Menschheit und auch des eigenen Lebens, die Anlass sein könnten, zu Gott und zum Mitmenschen Nein zu sagen. Unbegreifliche Schicksalsschläge, unsagbares Leid, schwere Krankheiten und Not sowie schlimme menschliche Enttäuschungen und Verletzungen können die Quellen sein, dass Menschen sich existentiell so bedrängt fühlen, dass sie glauben nicht anders zu können, als mit einem lauten Nein gegenüber Gott und den Menschen zu protestieren und vielleicht sogar gegen sich selbst. Doch auch noch in diesem Nein äußert sich die Entrüstung des Menschen, der sich nicht mit dem Bösen und den verneinenden, lebenszerstörenden Kräften in dieser Welt abfinden will. Am liebsten möchte jeder Mensch „Ja“ sagen können und an die Rettung durch Gott glauben. Wenn der Mensch aufhört, sich selbst zur letzten Instanz und Perspektive zu machen, findet er zu mehr Gelassenheit und zu der Erkenntnis, dass er beschenkt ist und alles , was sein Leben ausmacht, nicht selbst verdienen muss. Kein Mensch gewinnt sein Leben dadurch, dass er immer mehr leistet. Es entsteht vielmehr immer neue Unzufriedenheit, wenn Menschen sich ständig rechtfertigen müssen, weil sie immer neuen Ansprüchen zu genügen haben. Der Mensch, der nur noch an sich denkt, gerät in die Isolation. Der christliche Glaube befreit, indem er den Menschen auf die Zusage hinweist, dass Gott uns behütet und bewahrt. Heinrich Böll hat recht, wenn er sagt: „Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und noch mehr als Raum gab es für sie: die Liebe.“ Die Menschenfreundlichkeit Gottes leuchtet da auf, wo Menschen aus der frohen Botschaft der Bibel Glauben schöpfen und sich in ihrem Denken und Handeln davon bestimmen lassen, daß jeder Mensch als Ebenbild Gottes unzerstörbare Würde besitzt. In jeder menschlichen Person einen von Gott geliebten Menschen zu sehen, macht uns bewusst, dass das Menschsein als Geschenk zu verstehen ist. Und die Bestimmung des Menschen ist es, Gott zu erkennen, denn durch Gotteserkenntnis ist Selbsterkenntnis möglich. Von Johannes Calvin, dem Schweizer Reformator ist der Satz überliefert: „Die beste Art, Gott für empfangene Wohltaten zu preisen, ist, neue von ihm zu erwarten.“ Von Gott können wir mehr erwarten als von uns selbst, denn ER ist mit uns und ER kommt auf uns zu, Zukunft und Ziel unseres Lebens sind in seiner Hand. Eine kleine Geschichte aus China will uns alle in unserem Gottvertrauen bestärken:
„ Ich sagte zu dem Engel, der an der Pforte des neuen Jahres stand: Gib mir eine Lampe, damit ich sicheren Fußes der Ungewissheit entgegengehen kann! Aber er antwortete: Gehe nur in die Dunkelheit und lege deine Hand in die Hand Gottes! Das ist besser als eine Lampe und sicherer als ein bekannter Weg“.

Ich wünsche Ihnen allen für Ihren weiteren Weg durch das Jahr 2002 alles Gute, vor allem Gesundheit und Gottes Segen.

Herzlichst
Norbert Müller

„Diewesentlichen Dinge des Lebens kommen
nicht aus uns selbst, sondern auf uns zu.“